„Ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“

Römer 8,18 (Monatsspruch Februar)

 

Karl Marx bezeichnete 1844 zum ersten Mal die Religion als Opium des Volkes. Und Lenin formulierte später: „Denjenigen, der sein Leben lang arbeitet und Not leidet, lehrt die Religion Demut… und vertröstet ihn mit der Hoffnung auf himmlischen Lohn.“

Neben gesellschaftlichen Beobachtungen und Analysen könnte unser Monatsspruch aus dem Römerbrief ein Beleg für diese These der Religionskritik sein. Auf den ersten Blick scheint Paulus all das, woran wir Menschen leiden, klein zu reden gegenüber dem ewigen Leben, das uns Christinnen und Christen erwartet. Aber ist das wirklich so? Hat der christliche Glaube die Funktion, die Leidenden zu betäuben und somit gefügig zu machen, damit die Herrschenden ihre Macht ausüben und ihren Wohlstand genießen können? Für manche Epochen der Kirchengeschichte mag das in der Tat gegolten haben. Aber für den Apostel Paulus? Eher wohl nicht! Denn dann läge ja eine „Selbstbetäubung“ vor. Doch wie ist seine Aussage zu verstehen?

Der Apostel will das Leben seiner Glaubensgeschwister ins Verhältnis setzen zu dem, was sie von Gott her erwarten dürfen und worauf sie hoffen können. Ein Ausleger unserer Bibelstelle spricht vom Gleichgewicht einer Balkenwaage und übersetzt frei: „Ich glaube daran, dass die Leiden der Gegenwart nicht gleichgewichtig sind der Herrlichkeit.“ Paulus möchte also unsere Leiden nicht klein, sondern die Herrlichkeit, die uns erwartet, groß machen! Denn sie wiegt schwerer als die Widerfahrnisse in unserem Leben.

Was wissen wir vom ewigen Leben? Für mich persönlich dienen die Verse aus Offenbarung 21 als „Anhaltspunkt“. Dort heißt es: „Seht, die Wohnung Gottes bei den Menschen. Er wird immer bei ihnen sein. Er wird alle Tränen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid und keine Schmerzen.“

Für mich ist klar: Paulus will nicht vertrösten, sondern trösten. Angesichts von Krankheiten, Schmerzen und Tod, von Verlusterfahrungen, Einsamkeit und psychischer Not.

Fordert er dadurch zum Stillehalten und Abwarten auf? Wer Paulus und seine Schriften kennt, weiß, dass dies nicht sein Ansinnen ist. Im Gegenteil, für ihn gilt „der Glaube, der durch die Liebe tätig ist“ (Gal 5,6). So sind wir Christinnen und Christen aufgerufen, der Herrlichkeit Gottes entgegenzugehen und durch unsere Liebestaten die Welt nach seinem Willen zu verändern.

Pfarrer Joachim Schuler