Der Philosoph Rene Descartes sagte vor fast 400 Jahren: „Was bin ich? Ein denkendes Wesen. Ein Wesen, das zweifelt, einsieht, bejaht, verneint, will, nicht will, auch einbildet und empfindet.“ Ihm ist die Erkenntnis zu verdanken, dass der Zweifel ein Kennzeichen des denkenden Menschen ist.
Aber nicht nur der denkende Mensch zweifelt, sondern auch der glaubende Mensch. Die Bibel erzählt viele Geschichten davon. Hiob zweifelt, weil ihm so viel Unglück widerfährt. Petrus zweifelt, als er Jesus auf dem See entgegen gehen will und versinkt. Später verleugnet er sogar seinen Herrn, als der Hahn kräht. Auch der ungläubige Thomas zweifelt, bis er die Kreuzeswunden am Auferstandenen fühlen darf. Wir sehen, die Bibel verschweigt den Zweifel nicht.
Selbst die Christinnen und Christen in den ersten Gemeinden waren nicht alle leuchtende Vorbilder eines unerschütterlichen Glaubens. Auch Glaubende aus der Gemeinde, an die sich der Judasbrief um 150 n. Chr. richtet, sind in eine Krise geraten. Es gibt Streit über den richtigen Glauben und angemessenes Verhalten. Viele sind deshalb orientierungslos zwischen den verhärteten Fronten. Sie beginnen an ihrem Glauben zu zweifeln und an ihrer Gemeinde zu verzweifeln. In dieser Situation rät der Judasbrief: „Erbarmt euch derer, die zweifeln!“
Im Oktober und November, wenn die dunkle Jahreszeit naht, sind Schuld und Tod die Themen der Gedenk- und Feiertage. Das ist ein guter Nährboden für unsere Zweifel. „Wie kann Gott Kriege und Naturkatastrophen zulassen?“ Manche denken daran, dass sie einen lieben Menschen haben zu Grabe tragen müssen. Wenn der Tod so in unser Leben eingreift, werden Glaube und Gottvertrauen oft klein. Vielleicht empfinden wir auch Schuld gegenüber denen, die nicht mehr da sind. Gibt es einen Gott, der den Tod besiegt und Vergebung schenkt, wenn ich mir selbst kaum vergeben kann? Zweifel, die an unserer Seele nagen.
Die Aufforderung des Judasbriefs an uns Glaubende, sich gegenseitig in Zeiten des Zweifels aufzufangen, sich im Glauben zu stützen und zu unterstützen, ist ein wunderbarer Ratschlag. Er erinnert an die Jahreslosung 2015: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ Denn auch Christus hat die Zweifler nicht alleine gelassen, sondern sich ihnen mit Verständnis und Trost, Zuspruch und Fürbitte bei Gott zugewandt.
Gerade in Zeiten der Anfechtung – wie Luther den Zweifel genannt hat – ist es ein Zeichen einer lebendigen Gemeinde, wenn wir uns im Glauben gegenseitig tragen und ermutigen.
Pfarrer Joachim Schuler